(hwb) Er ist das am meisten fotografierte Motiv für die Touristen, die in die historische Altstadt nach Ottweiler kommen. Und für die Menschen, die hier leben, ist er ein Stück Heimat und nicht mehr weg zu denken. Der Wehrturm, Glockenturm der evangelischen Kirche und Wahrzeichen der Stadt Ottweiler erstrahlt seit diesem Sommer in neuem Glanz. Und das nicht nur äußerlich. Vor allem im Innern hat sich einiges getan.

Am 14. September 2008, dem Tag des offenen Denkmals, wurde der alte Turm einer neuen Bestimmung übergeben. Mit den drei neuen Bronzeglocken, die im Rahmen eines großen Glockenfests in den Turm gezogen wurden, bleibt der Wehrturm natürlich auch Glockenturm der Kirche. Im Innern wird er aber in Zukunft begehbar und damit für den Tourismus von Nutzen sein. Dadurch wir den Besuchern Ottweilers eine Präsentation des historischen Altstadtkerns aus luftigen 25 Metern Höhe ermöglicht. In rund eineinhalb Jahren Bauzeit wurde das nahezu sechshundert Jahre alte Bauwerk fach- und sachgerecht und vor allem sehr aufwändig saniert.

Aus den in die vier Himmelrichtungen zeigenden "Wichhäuschen", den so genannten Ortstürmchen der Besucherplattform am Fuße des Turmhelms, kann man jetzt herrliche Blicke über die Stadt Ottweiler und ihre Umgebung genießen.

Als Grundlage dieser Sanierung diente ein im Jahre 2006 von der saarländischen Denkmalschutzbehörde beauftragtes bauhistorisches Gutachten, das neue Erkenntnisse zur Baugeschichte und zum Alter des Turms lieferte. Bisher war man davon ausgegangen, dass der Turm als Teil der Stadtbefestigung im 16. Jahrhundert errichtet worden sei. Die Gutachter belegten nun durch eine dendrochronologische Untersuchung des im Bauwerk verarbeiteten Eichenholzes, dass der Turm mehr als einhundert Jahre älter als bisher angenommen ist. Durch wissenschaftliche Auswertung der Jahresringe des Holzes wurde eine Bauzeit des Turms in den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts ermittelt. Gleichzeitig wiesen die Gutachter nach, dass der Wehrturm nicht zur ursprünglichen Stadtbefestigung gehörte und somit auch nicht Teil der alten Stadtmauer war. Vielmehr weise er alle typischen Merkmale eines Bergfrieds auf, so wie er bei mittelalterlichen Burganlagen üblich gewesen sei. Für die in der Ottweiler Stadtgeschichte tätigen Heimatforscher eröffnet sich hier ein neues und interessantes Arbeitsfeld.

Der alte Wehrturm ist Eigentum der evangelischen Kirchengemeinde, die ihn als Glockenturm nutzt. Die drei neuen Bronzeglocken, die nun im Turmhelm eingebaut wurden, ersetzen die drei größeren Stahlglocken, die von 1921 bis zum Jahr 2007 ihren Dienst verrichteten. Am Sonntag nachmittag wurden sie im nahe gelegenen Rhododendron-Garten feierlich außer Dienst gestellt. Auf dem Gelände des alten Kirchhofs haben sie einen würdevollen Platz gefunden. "DER DA WAR" · "DER DA IST" · "DER DA SEIN WIRD". So wie das gemeinsame Geläut der drei Glocken, so erinnern uns ihre drei Inschriften an das unendliche Wirken Gottes in dieser Welt und an seine unendliche Liebe für jeden einzelnen von uns Menschen.





Aktuelle Anmerkungen zur Ottweiler Stadtgeschichte von Hans Werner Büchel

Das „Bauhistorische Gutachten über den ehemaligen Wehrturm“, das durch das Büro des Wiesbadener Bauhistorikers Dr. Hans-Hermann Reck im Auftrag der saarländischen Denkmalschutzbehörde im März 2006 erstellt wurde, kommt bei der Bewertung der ursprünglichen Funktion des Wehrturms zu dem Ergebnis, daß er nicht als Stadtmauerturm angesehen werden könne, sondern vielmehr den Bergfrieden spätmittelalterlicher Burgen gleiche. Gestützt wird diese Aussage durch einen Vergleich des vorgefundenen bauhistorischen Bestandes mit der Beschreibung des „idealtypischen“ Bergfrieds in der Burgenkunde von Otto Piper, die im Jahre 1912 in Würzburg erschienen war. Piper gilt als  Begründer der wissenschaftlichen Burgenforschung. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: „Diese Charakterisierung weist deutlich darauf hin, daß der Turm ursprünglich nichts mit der Stadtbefestigung zu tun hatte, sondern als letzter, starker Rückzugsort einer nicht näher bekannten Wehranlage zu betrachten ist.“ 1

Die eigentliche Baugeschichte des Turms verlief dem Gutachten zufolge in nur einer Bauperiode. Aufbauend auf der dendrochronologischen Untersuchung des im Turm verarbeiteten Eichenholzes kommt es zu dem Ergebnis, daß mit dem Bau um 1410 begonnen wurde, 1411 oder wenig später das Eingangsgeschoß erreicht und der Turm etwa um 1420 bis zur Mauerkrone der Wehrplattform fertiggestellt war. Dabei wurden im gesamten Mauerwerk Rotsandsteinquader verarbeitet. Im Winter 1421/22 wurden die Eichenstämme für den Turmhelm geschlagen und sofort verarbeitet. Bereits im Sommer 1422 wurde wahrscheinlich schon das Dachwerk aufgerichtet und eingedeckt.

Die nunmehr vorgelegten neuen Erkenntnisse über die ursprüngliche Funktion des Wehrturms stehen nicht im Einklang mit den bisherigen Ergebnissen der Ottweiler Heimatforschung.


Burg und Vorburg zu Ottweiler treten im Jahre 1393 durch urkundliche Erwähnung erstmalig in die Stadtgeschichte ein. Der Ottweiler Heimatforscher Dieter Robert Bettinger geht davon aus, daß es sich bei der Burg um eine Wasserburg handelte, aus der später das Ottweiler Schloß hervorging. Als Standort der Burg wird das Gelände an der Ostseite des heutigen Schloßplatzes bezeichnet, auf dem der Westteil des Schloßtheaters und das Anwesen Schloßstraße 1 stehen, sowie der Teil der Schloßstraße, der zwischen beiden Gebäuden verläuft. Die Vorburg schloß sich nördlich daran an und stand, durch einen Graben getrennt, etwa 40 Meter von der Burg entfernt, also auf dem Areal des heutigen Weylplatzes.

Zur Bauzeit von Burg und Vorburg gibt es keine konkreten Hinweise, doch geht Bettinger im Zusammenhang mit einer Begebenheit des Jahres 1493 davon aus, daß zu diesem Zeitpunkt „Mauern, Pforten und Türme offenbar schon lange an Ort und Stelle vorhanden waren, also zumindest im 15. Jahrhundert gestanden haben.“ 2 Anlaß für den Bau einer Burg war ihre ursprüngliche Funktion: der Schutz des Klosters Neumünster. Zu diesem Zweck war den alten Grafen von Saarbrücken zwischen 1160 und 1180 durch den Bischof von Metz die Schirmvogtei über das Kloster Neumünster verliehen worden.

Von einer weiteren Burg oder Wehranlage ist in der Stadtgeschichte nirgendwo die Rede; daher spielt auch der Wehrturm im Zusammenhang mit einer Burg keine Rolle. Im Gegenteil: Er wird mit geradezu unerschütterlicher Selbstverständlichkeit als Teil der mittelalterlichen Stadtumwehrung von Ottweiler angesehen.  Nach bisheriger Erkenntnis ist er einer von mindestens drei Rundtürmen, die neben den viereckigen Türmen der beiden Stadttore den erhöhten Teil der Stadtbefestigung ausmachten.Daß der Wehrturm nach den Ergebnissen des bauhistorischen Gutachtens nunmehr als Bergfried „einer nicht näher bekannten Wehranlage“ zu verstehen ist, fällt angesichts der zuvor geschilderten Überlieferungen zur Stadtgeschichte natürlich einigermaßen schwer. Dennoch wird man sich an diese neue Sichtweise des Wahrzeichens unserer Stadt gewöhnen müssen. Denn das Gutachten stellt die Übereinstimmungsmerkmale des Wehrturms mit einem Bergfried sehr überzeugend dar. Das kommt insbesondere im direkten Vergleich der Bauweise und der Proportionen des Wehrturms mit dem Idealtyp eines Bergfrieds zum Ausdruck. Die Übereinstimmungen sind verblüffend. Auch der geringe Vorsprung des Wehrturms vor die Stadtmauer spricht gegen einen baulichen Zusammenhang mit dieser. Hinzu kommt  die eingangs bereits erwähnte Tatsache, daß der Turm in einer einzigen Bauepoche gebaut wurde. Innerhalb von etwa zwölf Jahren war er vom Fundament bis zur Turmspitze fertiggestellt.

Die Abbildung links zeigt das "Schema eines Berchfrits" aus der Burgenkunde Otto Pipers. Die meisten Bergfriede hatten einen runden oder quadratischen Grundriß und ein besonders dickes Mauerwerk. Besonders charakteristisch sind das Verlies als unterstes Stockwerk und drei weitere, nach oben größer werdende Räume, die von einer Wehrplattform abgeschlossen werden. Die einzelnen Räume hatten schmale Licht- und Lüftungsschlitze. Der Zugang zum Turm befindet sich regelmäßig über dem Verlies und somit einige Meter über dem Boden. Die Stockwerke waren innen über Holzleitern zugänglich. Das Verlies hatte keinen regelrechten Eingang, sondern war nur über eine Öffnung im Scheitel der gewölbten Decke zu erreichen. Alle die Charakteristika des von Otto Piper beschriebenen Bergfrieds treffen auch auf den Ottweiler Wehrturm zu. (Quellenangabe der Abb.: Burgenkunde von Otto Piper, Seite 181, Verlag Weidlich / Flechsig, Würzburg)

Regionalgeschichtlich ist die Einschätzung des Wehrturmes als Bestandteil einer im 15. Jahrhundert errichteten Burganlage nicht von der Hand zu weisen. Bereits im 12. Jahrhundert waren die in unserer Region üblichen Turmhügelburgen aus Holz durch Wehranlagen aus Steinwerk abgelöst worden. Während die hölzernen Anlagen nur aus einem Bauwerk bestanden, einem Wohnturm, der gleichzeitig auch zu Verteidigungszwecken diente, kennzeichneten die ersten steinernen Burganlagen unserer Gegend die bauliche Trennung von Wehranlage und Wohnbereich. Der zu Verteidigungszwecken dienende Hauptturm der mittelalterlichen Burg wird Bergfried genannt. Das Wort hat sich wahrscheinlich aus den beiden mittelhochdeutschen Wörtern berc (Berg) und vride (Schutz, Sicherheit) entwickelt.

Das aus dem bauhistorischen Gutachten zum Wehrturm gewonnene neue Wissen wirft Fragen auf. Dabei geht es nicht darum, ob es überhaupt einen Bergfried in Ottweiler gab oder nicht. Viel interessanter sind die Fragen: Wo ist nunmehr die Stelle zu suchen , an der einstmals die Burg von Ottweiler gestanden hat? Was genau ist mit Burg Ottweiler gemeint? Aus welchem Anlaß baute man  hier in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen Bergfried?


Soll der Wehrturm als Bergfried anerkannt und in die Ottweiler Stadtgeschichte integriert werden, so kommt man um die Beantwortung der Kernfragen nicht herum: Wo stand die Burg? Wie sah sie aus?

Stand die Burg an der Ostseite des Schloßplatzes, wo sie seit alters her vermutet wird? Dann hatte der Wehrturm wohl kaum dazugehört und war als Bergfried auch nicht Bestandteil dieser Wehranlage. Oder stand die Burg rund zweihundert Meter weiter westlich an jener Stelle, an der heute der Wehrturm steht? Was aber stand dann an der Stelle, wo bisher die Burg vermutet wurde?

Oder ist es vielmehr so, daß beide Elemente zu ein und derselben Burganlage gehörten? Denn denkbar ist ja auch, daß als Burg der von der Stadtmauer umwehrte Siedlungsbereich des mittelalterlichen Ottweilers in seiner Gesamtheit anzusehen ist, dem sowohl die Wasserburg an dem bisher vermuteten Platz, wie auch der Wehrturm als Verteidigungsanlage und „als letzter Rückzugsort“, also als Bergfried zugehörten. In diesem Fall hätten wir es mit einer burgenähnlichen, in mittelalterlicher Zeit durchaus üblichen  Form der Stadtbefestigung zu tun.

Wie wir sehen, öffnet sich ein weiteres Feld in der Erforschung der  Ottweiler Stadtgeschichte. Durch das bauhistorische Gutachten sind neue, fundierte Erkenntnisse auf den Tisch gelegt worden, die nun  mit althergebrachten Überlieferungen und Fakten in Einklang gebracht werden müssen.

Im Folgenden wird daher zunächst der zeitgeschichtliche Rahmen für die Zeit des ausgehenden 14. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts skizziert. Innerhalb dieses historischen Rahmens wird sodann der Versuch unternommen, die regionalgeschichtlichen Umstände und daher auch die Gründe offenzulegen, die dazu führten, daß in den ersten Dekaden des 15. Jahrhunderts im damaligen Ottweiler die Stadtbefestigung verstärkt und der Bau des Wehrturms durchgeführt wurden.


Die Erbauung des Ottweiler Wahrzeichens, die nach neuesten Erkenntnissen zwischen 1410 und 1422 erfolgte, fällt in eine Zeitepoche, in der der gesamte europäische Kontinent einem tiefgreifenden Wandel und Umbruch unterworfen wird. Während in dieser letzten Phase des Spätmittelalters in den westeuropäischen Ländern die Zentralgewalt der Könige gestärkt wird, sinkt sie in Deutschland zugunsten eines Machtzuwachses der Reichsfürsten.

Besonderes Kennzeichen für das erstarkte Fürstentum in Deutschland ist die am 10. Januar 1356 auf dem Hoftag zu Nürnberg unter Kaiser Karl IV. verabschiedete Goldene Bulle. Durch dieses Reichgrundgesetz wird die Königswahl durch die Kurfürsten reichsrechtlich festlegt und bedarf keiner päpstlichen Bestätigung mehr. Zugleich wird verbrieft, daß Hoheitsrechte, wie die Burg-, Münz-, Zoll-, Berg-, Salz- und Judenregalien, an die Kurfürsten fallen, die sich dadurch auch ungeheure Geldquellen erschließen. Die Goldene Bulle verankert die Fürstentümer und verhindert zugleich eine starke Zentralgewalt im politischen Machtgefüge Deutschlands. Sie bestimmt vom Grundsatz her das Verhältnis zwischen dem Kaiser und den sieben, ab dem 17. Jahrhundert neun Kurfürsten in den folgenden Jahrhunderten bis zum Jahre 1806.

Auch die Kirche durchlebt im ausgehenden Spätmittelalter unruhige Zeiten. Zunehmende Mißstände in der Kirche, die gekennzeichnet sind durch eine Verweltlichung des Papsttums und des Klerus, führen ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts allenthalben zu dem Wunsch nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Im Jahre 1378 kommt es zum Großen abendländischen Schisma. In einem Zeitraum von nahezu vierzig Jahren erheben gleich mehrere Personen Ansprüche auf das Papsttum. Nicht nur in Rom, sondern zugleich auch in Avignon residieren Päpste und Gegenpäpste; von 1409 bis 1415 sogar noch ein dritter in Pisa. Alle Versuche, die offenbar gewordenen Mißstände in der Kirche durch Reformen zu beseitigen, scheitern vor allem am Widerstand des Papsttums. Gleichzeitig vollziehen sich tiefgreifende Veränderungen im geistigen und sozialen Leben. In Theologie und Philosophie zerbricht die bisherige Einheit von Glaube und Vernunft.

Während dieser politisch unruhigen Zeit an der Wende vom 14. ins 15. Jahrhundert n. Chr. kommt es in unserer Region zur Gründung einer neuen Grafenlinie, die über mehr als vier Jahrhunderte auch die Geschicke der Stadt Ottweiler bestimmen wird. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts fällt die zweite Saarbrücker Grafendynastie, die Grafschaft Saarbrücken-Commercy durch Heirat  an die Walramische Linie des Hauses Nassau. Graf Johann I. von Nassau, der Enkel König Adolfs von Nassau, heiratet um 1368 Johanna, Gräfin von Saarbrücken-Commercy. Gräfin Johanna begründete nach dem Tod ihres Gemahls Johann im Jahre 1371 und dem ihres Vaters rund zehn Jahre später die Grafenlinie Saarbrücken-Nassau. Der aus ihrer Ehe mit Johann hervorgegangene Sohn Philipp I. erhält durch Erbfolge die Saarbrücker Grafschaft, zu der auch Ottweiler gehörte. Im Jahre 1387 heiratet er Anna von Hohenlohe, Tochter des Grafen Kraft von Hohenlohe und dessen Gemahlin Elisabeth von Sponheim, wodurch er auch in den Besitz der Herrschaften Kirchheim, Bolanden und Neuweilnau gelangt. Philipp nennt sich fortan Graf zu Nassau und Saarbrücken, Herr zu Commercy und Mehrenburg.

Graf Philipp I. ist Landesherr unserer Stadt, als der Name Ottweiler erstmals in die Stadtgeschichte eintritt. In einer Urkunde vom 25. März des Jahres 1393, in der sein Onkel Graf Eberhard von Zweibrücken einen territorialen Tausch bestätigen lassen will, ist erstmals von einer Burg und Vorburg zu Ottweiler die Rede. Die Hälfte dieses Besitzes soll gegen die entsprechende Hälfte von Altdorff in Lothringen getauscht werden, was offenbar aber nie zur Ausführung kam.

Philipp regiert auch zu der Zeit, als man in Ottweiler die Befestigungsanlagen ausbaute und den Wehrturm errichtete. Der Grund für diesen Ausbau ist in der allgemeinen politischen Situation jener Zeit zu suchen, die von einer expansiven Politik der großen und mächtigen Herrschaftshäuser gekennzeichnet war, die dadurch ihren Einflußbereich im Gesamtreich zu vergrößern suchten. Dabei wandelte sich die bisher geltende lehnsrechtliche Oberherrschaft des Königtums zur selbständigen Landesherrschaft. Die Landesherren teilten fortan ihre  ursprünglich als Reichslehen erhaltenen Gebiete ohne Zustimmung des Königs wie Privatbesitz.

Nassau zählte zu den kleineren und weniger einflußreichen Grafenhäusern. Es konnte daher leicht zum Spielball im Machtgefüge der Großen des Reiches werden und mußte stets gegen fremde Übergriffe auf seine Territorien gewappnet sein. Das dürfte auch der Grund für den Bau einer Stadtbefestigung in Ottweiler und ihren späteren Ausbau gewesen sein.

Zur Zeit des Baus dieser Befestigungsanlagen waren zum einen die Schutzburg des Klosters Neumünster und zum zweiten einige Häuser im Umfeld dieser Burg vorhanden. Auch die Mechthildiskapelle soll im Laufe des 14. Jahrhunderts an der Stelle der heutigen evangelischen Kirche erbaut worden sein. Diesen damals vorhandenen Gebäudebestand umfaßte man mit einer kräftigen und recht hohen Mauer und bewehrte ihn mit Wachtürmen. Zusätzlich wurden die beiden Tore im Norden (Linxweiler Tor) und im Südwesten (Neumünster Tor) mit Türmen ausgestattet. Auch der in dieser Zeit üblich gewordene Zwinger, eine zweite vorgelagerte Mauer in Verbindung mit einem Graben war vermutlich vorhanden. Durch all diese Verteidigungseinrichtungen war eine Befestigungsanlage entstanden, die in ihren einzelnen Elementen und in ihrer Gesamtgestalt einer Burg sehr genau entsprach. Allein: die Ottweiler Burg lag nicht auf einer Anhöhe oder einem Berg, sondern auf einer relativ ebenen Fläche unten im Bliestal. Was noch fehlte, war der Bergfried „als letzter Rückzugsort“, jener hohe Turm, der zu Beginn des 15. Jahrhunderts errichtet wurde und den wir heute Wehrturm nennen.

Otto Piper beschreibt in seiner Burgenkunde nicht nur sehr genau Funktion und Aussehen des Berchfrits, sondern erläutert auch seinen Standort innerhalb der Burg. Demnach wurde in ebenen Burganlagen der Bergfried nahezu ausschließlich an der höchsten Stelle errichtet. Dort befindet er sich immer entweder innerhalb des ummauerten Areals oder in die Befestigungsmauer eingebaut.  Werfen wir nun einen Blick auf Ottweiler zur Zeit des Wehrturmbaus, so erkennen wir, daß er nicht nur in die Mauer eingebaut, sondern zweifellos auch an der höchsten Stelle errichtet wurde, zumal Teile des von der Mauer umfaßten Gebietes damals tiefer lagen als heute.

Zum Schluß dieser kleinen Betrachtung über die Einordnung des Wehrturms in die Burgengeschichte der Stadt wird durch einen Bildvergleich der „einfache Berchfrit“ nach Otto Piper dem Ottweiler Turm gegenüber gestellt. Obwohl es sich bei der linken Darstellung um eine einfache Handzeichnung und beim Wehrturm um eine exakte Planzeichnung handelt, fallen die übereinstimmenden Merkmale sofort ins Auge. Es sind dies insbesondere:

·     Anzahl, Lage und Form der Geschoßebenen

·     Anordnung des Eingangs, der Licht- und Lüftungsschächte

·     Dicke der Mauern und Größe der Räume


Das bauhistorische Gutachten hat die bei der genauen Vermessung des Wehrturms ermittelten Maßangaben neben die Maße des Bergfrieds aus der Burgenkunde Otto Pipers gestellt. Die Übereinstimmung ist mehr als deutlich.

Quellenhinweise:

1 Büro für Bauhistorische Gutachten Dr. Hans-Hermann Reck:
„Bauhistorisches Gutachten über den ehemaligen Wehrturm“,
Wiesbaden, März 2006

2 Dieter Robert Bettinger: „Ottweiler zur Grafenzeit“,
Schriftenreihe des Stadtmuseums Ottweiler, Band 4
Ottweiler, 2000

© 2008 by Hans Werner Büchel, Ottweiler