Autor: Hans Werner Büchel, Ottweiler


Zur Geschichte Ottweilers gehören neben der Klostergeschichte, der Geschichte der Kirchengemeinden und der Grafen- und Fürstenzeit auch sehr dunkele Kapitel, über die bisher erst in Ansätzen fundierte Forschungen vorliegen. Dies betrifft vor allem den Zeitraum von mehr als 150 Jahren, in dem hier in Ottweiler eine blühende jüdische Gemeinde bestanden hatte. Diese aus deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens bestehende Gemeinde wurde im Zuge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der ersten Hälfte des 20. Jh. von Deutschen radikal ausgelöscht. Ein Teil der Erinnerungskultur an dieses Geschehen wird auf der Seite »Stolpersteine« dargestellt. Mein Ziel ist es jedoch, die Geschichte der Ottweiler Juden auch hier, unter der »Stadtgeschichte« als deren Teil in angemessener Weise darzustellen.

August 2016 · Hans Werner Büchel



Heidelbergmensch und Neandertaler sind berühmt gewordene Vorläufer des modernen Menschen, die vor Urzeiten weite Teile Mitteleuropas besiedelten. Auch in unserer Gegend reichen die ältesten Zeugnisse für eine menschliche Besiedlung bis in die Altsteinzeit vor rund 100.000 Jahren zurück. Welche Menschen lebten in diesen urgeschichtlichen Zeiten hier? Wir wissen heute, daß beim Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren Menschen des Typs Homo sapiens vom Mittelmeerraum aus der nach Norden weichenden Eisgrenze nachgezogen sind. Nach Abschluß dieser Wanderungsbewegungen während der Jungsteinzeit waren weite Teile Mitteleuropas von sogenannten Nordleuten besiedelt. Diese hier seßhaft gewordenen Vorläufer der modernen Menschen lebten überwiegend als friedliche Bauernvölker auch in Siedlungsräumen zwischen dem Rhein im Osten, der Mosel im Westen und Norden und der Saar im Süden. Etwa 2.000 v. Chr. drangen dann während der ersten indogermanischen Völkerwanderung fremde Volksgruppen, unter ihnen vor allem in großer Zahl die kriegerischen Streitaxtleute aus dem Südosten und die Glockenbecherleute von der iberischen Halbinsel, in den mitteleuropäischen Raum und damit in das Siedlungsgebiet der Nordleute ein.

In den letzten Jahrhunderten vor dem Beginn unserer Zeitrechnung kam es zur Verschmelzung der Bauernvölker mit den Streitaxtleuten, aus der die ersten Stämme der Urgermanen hervorgingen. Gleichzeitig bildeten sich während der Älteren Bronzezeit um 1200 v. Chr. in Süddeutschland, der Nordschweiz und in Teilen Ostfrankreichs die Urkelten mit ihren bäuerlich geprägten Lebensformen heraus. Im Zuge der zweiten indogermanischen Völkerwanderung folgte der Einbruch völkerreicher Stämme aus dem Osten in das Gebiet der Urkelten. Auch nach dem Zusammentreffen dieser beiden unterschiedlichen Kulturkreise kam es zu einem allmählichen Verschmelzungsprozeß, aus dem schließlich das Volkstum der Kelten hervorging.

Im Gebiet des heutigen Saarlandes, des angrenzenden Lothringens und des Moselraumes siedelten zu dieser Zeit die keltischen Volksgruppen der Mediomatriker und der Treverer, die beide der sog. La-Tène-Kultur zugerechnet werden, die sich zum Ende des 6. Jh. v. Chr. unter mediterranem, vor allem etruskischem Einfluß aus der Hallstattkultur heraus entwickelt hatte. Die heutigen Stadtnamen von Metz und Trier gehen auf diese Volksbezeichnungen zurück.


Dieser kurze Abriß über die Urgeschichte und die Zeit des Altertums im heutigen Saarland und damit auch in der Gegend um Ottweiler sagt uns vor allem, welche Menschen in jener Zeit hier lebten, aber noch wenig darüber, wie sie lebten, mit welchem Kult und Ritus und in welcher Gesellschaftsform. Dies soll in groben Zügen und konzentriert auf die Zeit der La-Tène-Kultur im folgenden Abschnitt dargestellt werden.

Gesellschaft, Kult und Ritus der Kelten in unserer Region

Die unterschiedlichen Volksstämme der Kelten setzten sich aus großen Familien-verbänden, sogenannten Clans, zusammen. Ihre Stammesführer waren die Druiden und Barden. Zwar wurden die Clans überwiegend von Männern angeführt, doch besaßen auch die Frauen großen Einfluß.

Ihre kulturelle Identität bildeten die Kelten der damaligen Zeit zum einen durch die seit Generationen weitergegebenen mündlichen Überlieferungen und zum anderen durch die vielfältigen Ausdrucksformen ihrer eigenständigen Kunst und Kultformen. Bei den überlieferten Kultformen richtet sich unser Hauptaugenmerk dabei immer wieder auf die Bestattungsriten, weil es vor allem Gräber sind, auf die wir bei den Ausgrabungen in unserer Gegend stoßen. Erst bei der vollständigen Freilegung dieser Grabstätten treten dann neben den menschlichen Überresten der Bestatteten selber auch die Gegenstände zu Tage, die den Toten beigegeben waren und die, je nach dem gesellschaftlichen Stand des Verstorbenen, von besonderer Schönheit und Wert waren. Architektonische Überreste aus der Keltenzeit sind im heutigen Saarland kaum greifbar, da die überwiegend aus Holz und Lehm errichteten Bauwerke die Zeiten naturgemäß nicht überstehen konnten. Die Steinbauweise wurde erst viel später unter der römischen Herrschaft üblich.

Die in unserer Gegend ansässigen Kelten der La-Tène-Zeit gehörten schon lange nicht mehr zu den Wandervölkern, sondern hatten sich hier fest niedergelassen, ohne sich indessen von der Außenwelt abzuschotten. Vielmehr sind weitreichende Handelsbeziehungen mit anderen Stämmen und Volksgruppen belegt, wodurch sie einerseits ihre eigenen kulturellen Errungenschaften weitergaben, zum anderen aber auch Eigenarten fremder Kulturen in ihre eigenen Gebräuche und Sitten aufnahmen. Sie waren friedliche Bauernvölker, aber auch bereit und in der Lage, ihre  Besitzungen gegen Anfeindungen von außen zu verteidigen. Dem entsprechend fertigten sie ihre Geräte und Werkzeuge des täglichen Bedarfs vorwiegend zum Zwecke des Ackerbaus, der Viehzucht, Vorratshaltung, Lagerung und für den Transport ihre Güter. Bereits seit der Bronze- und der Eisenzeit waren die Materialien und Techniken dazu vorhanden; sie wurden immer weiter verfeinert und durch neue Erfindungen ergänzt. Auch für ihr  Äußeres hatten die Kelten viel übrig. Sie fertigten sich zweckmäßige und schöne Kleidung und legten sich kunstvoll gearbeiteten Schmuck an. Besonders reichhaltig und aufwendig verarbeitet wurden diese Schmuckstücke natürlich für die Angehörigen der Führungsschicht und der keltischen Fürstenfamilien. Für unabdingbare kriegerische Auseinandersetzungen besaßen sie die erforderlichen Waffen, die sie zu Fuß wie auch zu Pferd einsetzten. Zweckmäßig aber auch kunstvoll gearbeitete Schwerte und Schutzschilde, Panzerungen, Speere, Pfeile und Bögen legen davon ein beredtes Zeugnis ab. In ihrer Gesamtheit dürfte es sich bei den Kelten um selbstbewußte und mutige Volksstämme gehandelt haben. Nicht umsonst wurden sie von den Römern Celtae oder Galli und von den Griechen Keltoi oder Galatoi genannt; beides heißt übersetzt nichts anderes als „die Tapferen“.

Wie alle Völker der damaligen Zeit, so pflegten auch die keltischen Stämme neben den profanen auch mystische und transzendale Kulten und Riten und zwar nicht nur durch die Art ihrer Bestattung am Lebensende, sondern während ihres gesamten Lebens. Mit anderen Worten, die Kelten waren religiöse Menschen, die sich Gottheiten geschaffen hatten, für die sie Opfer darbrachten und von denen sie sich Schutz und Beistand in  allen Lebenssituationen erbaten. Alles, was sie sich vornahmen, mußte vor den Gottheiten bestehen können, von denen sie annahmen, daß sie irgendwo über ihnen im Himmel wohnten. In den Gestirnen des Himmels, aber auch in den Naturgewalten auf der Erde lebten die Götter und sprachen sie zu den Menschen. In ihrem direkten Umfeld, in dem sie lebten und arbeiteten, gab es bestimmte Plätze oder Gegenden, denen sie eine besondere Bedeutung zuwiesen. Diese Orte waren die Heiligtümer der Kelten. Solche Heiligtümer konnten aus einfachen Steinhaufen bestehen, aber auch Teile der Landschaft, wie etwa besonders markante Hügel oder Berge, wurden als Kultstätten ausgewählt. Die tiefen und alltäglichen Formen der Religiosität der Kelten waren wichtige Voraussetzungen dafür, daß sie nach der Zeitenwende das Christentum so umfassend in ihren Völkern auf dem europäischen Kontinent aufnehmen konnten. Viele der heute in den großen Kirchen praktizierten Rituale haben in diesem Urverhalten der Menschen jener Zeit ihre Wurzeln.

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