Ausgangspunkt zur Erforschung der Ottweiler Stadtgeschichte ist seit jeher eine Urkunde, die am 13. Juni im 31. Regierungsjahr von Ludwig, dem König des Ostfränkischen Reichs, in der Königspfalz Trebur ausgestellt wurde. Allgemein gilt diese Urkunde von König Ludwig II. als Bestätigung der von Bischof Adventius von Metz veranlaßten Gründung eines Chorherrenstiftes in unserer Gegend. Kenner der Kirchengeschichte bezeichnen diese Urkunde zwar als verunechtet, weisen aber zugleich darauf hin, daß die in ihr getroffenen inhaltlichen Angaben, wie Lage und Besitzzuweisungen, durchaus zutreffend seien. Der Text in seiner heute vorliegenden Form stamme hingegen nicht aus der Kanzlei Ludwig des Deutschen, gleichwohl seien das Protokoll und die Bekräftigungsformel kanzleigemäß.
Die deutsche Übersetzung des lateinisch Urkundentextes lautet:
"Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit – Ludwig, König durch Gottes Barmherzigkeit. Kundgemacht sei allen gegenwärtigen und zukünftigen Angehörigen zur Kirche Gottes, daß Adventius, der heiligen Kirche von Metz ehrwürdiger Bischof, unserer Majestät berichtet hat, wie er in seinen Sprengel im Bliesgau kam, und dort herumreiste, um mit Achtsamkeit und Sorge für die ihm anvertrauten Seelen zu schauen. Er fand in diesem Teil seiner Diözese schlimme Verbrechen und unerhörte Laster, weil kein Seelsorger da war. Betrübt darüber suchte er auf den Gütern des heiligen Stephanus eine Stelle ausfindig zu machen, um dort eine Zelle zu errichten, in der Kanoniker leben sollen. Dadurch solle der Herde des Herrn, die jetzt der Seelsorge entbehrt, Gelegenheit werden, jederzeit die Heilsmittel und die Tröstungen der christlichen Religion aus nächster Nähe zu empfangen.
Er errichtete dort auch eine Zelle und eine Kirche, einen prachtvollen und stattlichen Bau, die er feierlich zu Ehren und im Namen der ungeteilten Dreifaltigkeit und aller Heiligen einweihte. Die Zelle, die nahe bei wasserreichen Quellen lag, besiedelte er mit regulierten Chorherren, und sorgte für die gesamte Einrichtung der Kirche. Auf göttliche Eingebung hin, wie wir glauben, übertrug er in diese Kirche den Leib des heiligen Terentius, Bischof von Metz und großen Bekenners, der im Himmel mit Christus herrscht und durch unzählige Wunder sich auf Erden auszeichnet. Zudem beschenkte er die Zelle der Sitte seiner Vorgänger gemäß aus den Gütern des heiligen Stephanus. Den Kanonikern gab er zur Nutzniesung und zum Unterhalt das Dorf Linxweiler, nahe bei der Kirche, nebst der dem heiligen Martinus, dem Bekenner Christi, geweihten Kapelle. Ferner überließ er den Kanonikern im Wormsgau, ebenfalls aus dem Besitz des heiligen Stephanus, den neunten Teil der Erträgnisse von Partenheim und Odernheim. Desgleichen gab er ihnen im Wormsgau im Dorfe Heßloch vierzehn Bauernhöfe mit ihren Ländereien und Weinbergen, vierzehn Fuder Wein und acht Karren Heu, dazu noch die dortige Kirche, doch unter der Bedingung, daß die Kanoniker für uns, unsere erlauchte Gemahlin und unser Kind sollen Gottes Barmherzigkeit inständig anflehen, da sie ja doch ohne Sorge dem ewigen König dienen können.
Untertänigst bittet der oben genannte Bischof, daß das, was er im Eifer für Gott getan und zum Dienste des ewigen Königs Kraft seiner bischöflichen Autorität angeordnet hat, durch unsere Anordnung bekräftigt werde. So möge denn zu seinen Lebzeiten das auf Gottes Antrieb Unternommene, auf die herkömmliche Weise gesichert sein. Weil seine Bitten aus Gott und nach Gottes Willen sind, haben wir geruht zu befehlen, daß alles, was Frömmigkeit schuf, durchs Recht ewig so bleibe. Das schwören wir, auch unsere Söhne und Nachfolger bei der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit.
Und soll von niemanden angetastet werden und von allen beobachtet werden. Und damit diese Urkunde größere Kraft habe und in Zukunft von unseren Untertanen für echt erkannt und fleißig beobachtet werde, bekräftigen wir sie durch unser Handzeichen und Siegel.
Ausgestellt am 13. Juni unter der Gnade Christi im 31. Regierungsjahr des erhabenen König in Ostfranken, des Herren Ludwig, Indiktion 4, in der Königspfalz Trebur, im Namen Gottes. Amen. Ludwig"
Es gibt heute kein erhalten gebliebenes Exemplar mehr von der Bestätigungsurkunde des Chorherrenstifts. Über die Form und Aufmachung solcher Urkunde kann man sich nur noch ein Bild machen, wenn man vergleichbare Urkunden der Epoche betrachtet. Die Abbildung oben zeigt eine Bestätigungsurkunde aus der Kanzlei Ludwig des Deutschen von 844.
Das in der Urkunde genannte Datum ist taggenau festgelegt. Ludwig II., um 805 geboren, war seit 830 mit seinen Brüdern Pippin und Lothar in die Aufstände gegen den Vater, Kaiser Ludwig den Frommen, verwickelt, die mit dessen Absetzung endeten. Nachdem Ludwig sich 843 in den sogenannten "Straßburger Eiden" mit seinem Stiefbruder Karl gegen den älteren Bruder Lothar I. verbündet hatte, verzichtete dieser auf weitere Gebietsansprüche, so daß Ludwig durch den noch im gleichen Jahr geschlossenen Vertrag von Verdun König über das Ostfrankenreich wurde. Das in der Urkunde genannte 31. Regierungsjahr rechnet sich allerdings vom Jahre 840 an, als Ludwigs Vater starb und er selbst erstmals die Königswürde erlangte. Von diesem Jahr an gerechnet ergibt sich als Ausstellungsjahr der Urkunde das Jahr 871, was auch durch die in der Urkunde angegebene Indiktion 4 zweifelsfrei bestätigt wird. Durch den Vertrag von Verdun des Jahres 843 war Ludwig aber noch nicht in den Besitz des Metzer Gebietes, sondern ausschließlich der Gebiete rechts des Rheines gekommen. Metz gehörte seinerzeit noch zum mittelfränkischen Reich, sein Herrscher war Lothar I., König von Italien und seit 840 fränkischer Kaiser. Nach Lothars Tod wurde dieses Mittelreich 855 geteilt. Sein Sohn Lothar II. erhielt den nördlichen Teil, das Regnum Lotharii (Lothringen), dem zweiten Sohn Ludwig verblieb Italien. Als auch Lothar II. 869 starb, teilten seine Onkel Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle das Mittelreich unter sich auf. Dies geschah 870 durch den Vertrag von Meersen. Erst durch diesen Vertrag gelangten die zum Bistum Metz gehörenden Gebiete und somit auch der Bliesgau in den Herrschaftsbereich von König Ludwig II.
Als Stelle, an dem Bischof Adventius auf den Gütern des Hl. Stephanus die Zelle errichten ließ, gilt heute unbestritten ein Bereich am Fuße des Hahnenbergs, dicht über dem Bliestal, den heutigen Gegebenheiten entsprechend das unmittelbare Umfeld der Klosterstraße. Ein direkter Hinweis aus der Urkunde ergibt sich nur durch die erwähnte Schenkung an die Chorherren, nämlich des Dorfes Linxweiler samt der dortigen Martinskapelle, die nahe bei der Kirche (des Chorherrenstiftes) lagen und durch die Lage der Zelle nahe bei wasserreichen Quellen. Weitere Angaben mit einem unmittelbaren lokalen Bezug fehlen in dieser Urkunde. Daß diese Stelle der Standort des Chorherrenstiftes und damit Ausgangspunkt einer neuen Pastoralisierung der ganzen Gegend war, ergibt sich durch Rekonstruktionen aus späteren zeitgeschichtlichen Dokumenten.
An dieser Stelle zwischen Steinbacher Straße und Feldstraße soll das Chorherrenstift gestanden haben. Das Schiff der Kirche verlief dabei mitten durch die heutige Klosterstraße.
Von den Merowingern zu den Karolingern
Wenn wir die Herrscherdynastien in den beiden Jahrhunderten vor der Gründung des Chorherrenstifts betrachten, so fallen drei Namen auf, die mit Ordnungsziffern oder Beinamen zu ihrer Unterscheidung versehen sind: Pippin, Karl und Ludwig. Gehen wir noch ein Jahrhundert zurück, dann treffen wir auf Chlodwig, eine frühe Form des Namens Ludwig. Chlodwig I., in der Zeit von 482 bis 511 salischer König des Frankenreichs aus dem Geschlecht der Merowinger ist die zentrale Figur jener Zeit. Chlodwig beendet im Jahre 486 mit einem Sieg über den letzten römischen Statthalter nicht nur endgültig die Herrschaft der Römer in Mitteleuropa, er trägt auch wesentlich zur Festigung und Eigenständigkeit der „Fränkischen Landeskirche“ bei. Innerhalb von drei Jahrzehnten zwingt er ganz Westeuropa unter seine Herrschaft. Nunmehr kommt es darauf an, diese Vormachtstellung dauerhaft zu sichern. Dies gelingt mit einer klugen Politik gegenüber der Bevölkerung in den eroberten gallorömischen Stämmen. Chlodwig läßt sich taufen, nimmt dadurch den römisch-katholischen Glauben seiner neuen Untertanen an und erleichtert zugleich den Verschmelzungsprozess zwischen Siegern und Besiegten. Große Sympathien erwirbt er sich auch mit der Ernennung des im Volk sehr verehrten Hl. Martin zum Schutzpatron seines Hauses und des ganzen Reiches. Der Niedergang der Merowinger nach Chlodwigs Tod im Jahre 511 geht auf die sich vermehrenden Reichsteilungen infolge des Prinzips der Herrschaftsteilung zurück, an deren Ende die Aufteilung des merowingischen Frankenreichs in die drei selbständigen Teilreiche Austrien (Ostland), Neustrien (Westland) und Burgund steht. Weitere Machtkämpfe zwischen den Königen und zwischen dem Adel und den Herrschern treiben das Merowingerreich schließlich in den Ruin und fördern den Aufstieg der Hausmeier, die als oberste Hof- und Staatsbeamten allmählich die Macht an sich binden.
Aufstieg der karolingischen Hausmeier
Ein auf die Arnulfinger (Stammvater Arnulf von Metz) und Pippiniden (Stammvater Pippin der Ältere) zurückgehendes fränkisches Geschlecht stellt jene Hausmeier, die in der Endphase des merowingischen Niedergangs Zug um Zug zunächst die faktische, dann auch die rechtliche Macht im Frankenreich übernehmen: die Karolinger.
Den Zerfall des Merowingerreiches machen sich nicht nur die Hausmeier im Innern zu Nutzen, auch fremde Mächte von außen versuchen aus der fränkischen Schwäche Kapital zu schlagen. Es sind besonders die Araber, die den karolingischen Hausmeiern als neuen Herrschern im Reich zu schaffen machen. Schon zur Merowingerzeit waren sie bis nach Spanien vorgedrungen; nunmehr reicht ihr Herrschaftsbereich vom Indus bis zum Atlantik. In dieser bedrohlichen Zeit ist es der austrische Hausmeier Karl, später auch Martell (der Hammer) genannt, der mit seinem Heer die entscheidende Wende einleitet. Er schlägt 732 die Araber bei Poitiers und bei Tours und drängt sie endgültig aus dem Frankenreich zurück. Von der Geschichtsschreibung werden diese Siege Karl Martells später als die „Rettung des christlichen Abendlandes“ beurteilt. Karl Martell, von dem das Herrschergeschlecht der Karolinger seinen Namen hat, bleibt als Hausmeier bis zu seinem Tod im Jahre 841 an den Schaltstellen der Macht. Sein Sohn Pippin der Jüngere übt dieses Amt danach noch rund zehn Jahre aus, aber bereits im Jahre 751 wird er in Soissons vom fränkischen Adel zum König gewählt und vom päpstlichen Botschafter Bonifatius gesalbt. Diese Salbung ist von großer Bedeutung, denn sie verleiht dem neuen Herrscher das Charisma der „Geblütsheiligkeit“, das unabdingbar für die Begründung einer neuen Königssippe ist.
Die Geburt des Kirchenstaates
Wenige Jahre nach diesen Ereignissen wird Pippin der Jüngere von Papst Stephan II. um Hilfe gebeten. Die Langobarden, die in Besitz weiter Teile Italiens sind, fallen im Zuge der Eroberung byzantinischer Restgebiete in der Grafschaft Rom ein und bedrohen den Papst. Der erscheint persönlich in der Residenz Pippins und bittet ihn um Hilfe. Er bittet nicht vergebens, denn er erhält von Pippin das feierliche Schutzversprechen und die urkundlich verbriefte Versicherung, dass er als König der Franken die Rückgabe der ehemals byzantinischen Gebiete „an die Römer“ garantiere. Im Gegenzug nimmt der Papst erneut die Königssalbung vor und dokumentiert so öffentlich die besondere Stellung der neuen karolingischen Königssippe. Zudem verleiht er Pippin dem Jüngern und seinen Söhnen den Titel „Patricius Romanorum“, Schutzherr der Römer. Pippin setzt sein Schutzversprechen in die Tat um und erzwingt mit zwei Feldzügen die Herausgabe der von den Langobarden eroberten Gebiete an den Papst. Damit löst sich der Papst aus seiner bisher bestehenden Abhängigkeit vom byzantinischen Kaisertum und wird selbst zum weltlichen Herrscher. Die Geburt des Kirchenstaates ist vollzogen. Mit dieser sogenannten „Pippinischen Schenkung“ verbunden ist ein kirchenrechtlicher Vorgang, der die europäische Politik noch über Jahrhunderte belasten wird. In der Kanzlei des Papstes wird die Urkunde der sogenannten „Konstantinischen Schenkung“ gefälscht, wonach bereits Kaiser Konstantin der Große dem seinerzeitigen Papst Silvester als Besitz nicht nur Rom, sondern auch alle Provinzen Italiens und des Westens übertragen und ihn zugleich in den kaiserlichen Rang erhoben habe.
Christentum und Kirche im Frankenreich
Westeuropa war nach Abschluss der römischen Eroberungen nicht nur neuen Herrschern, sondern zugleich auch mehr oder weniger zwangsweise einer neuen Religion unterworfen worden. Bereits seit Kaiser Konstantin I. mit anderen Religionen gleich gestellt, wird das Christentum unter Theodosius I. sogar zur Staatsreligion im gesamten römischen Reich bestimmt. Auch während der Merowingerzeit bleibt das von Rom geprägte Christentum dominierende Kraft, wenngleich alte germanische oder keltische Riten nie ganz verschwinden. So verwundert es nicht, dass mit dem Niedergang der merowingischen Königsmacht auch der almmähliche Zerfall der Kirche einhergeht. Ganze Bistümer, die als kirchliche Organisationsform unter den Römern geschaffen worden waren, verwaisen oder werden von Laienbischöfen, vakante Leitungen in den Klöstern von Laienäbten übernommen. Die Bischöfe, der Klerus und die Klöster verweltlichen zusehends und es kommt zu einer Säkularisierung durch die Übertragung von Kirchengütern an Vasallen des Adels. Diese Auflösungserscheinungen des Klerus fördern die erneute Ausbreitung des Heidentums vor allem in Nord- und Westgallien. Exemplarisch für die Zustände in der Mitte des 8. Jahrhunderts ist der Fall des Priesters Adelbert. Von „unwürdigen Bischöfen“ geweiht, predigte er dem Volk, ihr Seelenheil sei durch von Engeln an ihn überbrachte Reliquien und einen von Christus persönlich an ihn gerichteten Brief zu erlangen. Er ließ an die „Gläubigen in seinem Bistum“ als Reliquien Splitter seiner Fingernägel und Haarsträhnen verteilen.
Diesen verworrenen Zuständen in der fränkischen Kirche und dem Rückfall des Volkes in heidnische Gebräuche und Sitten folgte eine neue christliche Ordnung, für die vor allem der fränkische Hausmeiers Karl Martell die Grundlagen legt. Mit der Niederwerfung der Heiden ermöglicht und fördert er die Expansion des Christentums im gesamten Reich. Diese Politik wird von seinen Söhnen Pippin III., der Jüngere und Karlmann weiterentwickelt, vor allem durch die massive Unterstützung des Missionswerks des Winfried (Bonifatius) unter den germanischen Völkern. Die Reform der fränkischen Kirche geht auf das erfolgreiche Zusammenwirken dieser beiden Hausmeier mit den angelsächsischen Mönchen und vor allem mit dem Papsttum zurück. Ziel ihrer Politik war ein Bündnis zwischen den Franken und den Nachfolgern auf dem Stuhle Petri. Im Jahre 747 übergibt Karlmann seine Besitzungen an seinen Bruder und zieht sich in das Klöster Monte Soracte und schließlich nach Monte Cassino zurück. Pippin der Jüngere, seit 751 der erste König der Karolinger, stirbt am 24. September 768 in Saint-Denis bei Paris. Vor seinem Tod teilt er das allein in seiner Hand gehaltene Frankenreich unter seinen Söhnen Karl und Karlmann auf.
Karl der Große als "Führer des Gottesstaates"
Mit Karl, der nach dem Tod seines Bruders Karlmann im Jahre 771 Alleinherrscher im Frankenreich wird, bringen die Karolinger wohl ihre größte Führungspersönlichkeit hervor, weshalb ihm später das Prädikat „der Große“ beigegeben wird. Rein machtpolitisch hat er mit mehr als fünfzig Feldzügen ganz Mitteleuropa in das Frankenreich einverleibt, von Nord- und Ostsee bis zu den Pyrenäen und Italien, vom Atlantik bis in die böhmischen und mährischen Gebiete. Sein Imperium umfaßte ein Areal von mehr als einer Million Quadratkilometern, in dem rund 15 Millionen Menschen lebten, über die er regierte.
Karl der Große versucht dieses Riesenreich durch neue Verwaltungsmethoden zusammen zu halten, in dem er die alten Stammesherzogtümer durch Grafschaften ersetzt und an den Außengrenzen des Riesenreichs Marken errichtet. Dabei versucht er jeweils den eingesessenen Stammesadel für sich zu gewinnen, sofern dieser bereit ist, durch besonderen Treueid seine Ergebenheit gegenüber dem König zu bezeugen. Mit 230 Grafschaften und den Markgrafen schafft Karl so eine neue Reichsaristokratie, die er großzügig mit Grundbesitz ausstattet.
Kirchenpolitisch steht der König in der Tradition seines Vaters Pippin, verbindet aber die politische Herrschaft und die religiöse Führung noch enger miteinander. Bereits auf der Frankfurter Synode von 794 wird Karl rex et sacerdos (König und Priester) genannt. Dies kennzeichnet nicht nur die eigene Sicht des Herrschers, sondern auch die allgemeine Auffassung des Adels, des Klerus und des einfachen Volkes. Für sie ist der König der von Gott unmittelbar eingesetzte Herrscher. Bereits sechs Jahre später erfährt diese gottesstaatliche Ordnung der Franken in Rom einen Höhepunkt. Karl der Große wird an Weihnachten 800 von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt und gesalbt. Nach der Zeremonie ist es der Papst, der dreimal öffentlich vor dem Kaiser niederkniet. Ein deutliches Zeichen für die Rangfolge im Gottesstaat.
Karl der Große wählt Aachen als Kaiserresidenz und ist fortan nicht nur weltlicher Imperator, sondern auch Herr der Reichskirche. Er hat das Recht zur Ernennung der Bischöfe und Äbte. Diese Ämter werden mit hohen Hofbeamten und Angehörigen des eigenen Herrschergeschlechts besetzt, die wie die Grafen in einem Vasallenverhältnis zum König stehen. Und ebenso wie die Grafen werden die Bischöfe und Äbte in ihren Bistümern und Klöstern bisweilen in die Heerbannpflicht einbezogen und mit derart vielen weltlichen Aufgaben betraut, dass ihre eigentlichen Pflichten vernachlässigt werden. Manifestiert wird diese Reform der Kirche durch eine Anzahl von Synoden, die dazu führen, dass die kirchlichen und weltlichen Strukturen deckungsgleich werden. Die Einhaltung von Gesetzen und Anordnungen werden den missi (Königsboten) übertragen, jeweils ein Laie und ein kirchlicher Würdenträger, die vor Ort zusätzlich auch die Rechtssprechung ausüben können. Noch 813 plant Karl der Große, alle Beschlüsse und Maßnahmen der einzelnen Synoden in einem einzigen Werk zusammen zu fassen; allein sein Tod im Jahre 814 verhinderte dieses Vorhaben.
Klerus und Mönchtum im 9. Jahrhundert
Karls Sohn Ludwig der Fromme setzt zunächst die Politik seines Vaters fort. Unter dem Einfluß von Benedikt von Aniane befassen sich ab 816 mehrere Reformsynoden in Aachen u. a. mit der Einführung der Kanonikerregel Chrodegangs und der Verbindlichkeit der Benediktregel für das Mönchtum. Reichspolitisch faßt Ludwig der Fromme im Jahre 817 einen Beschluss mit weitreichenden Folgen: er setzt seinen Sohn Lothar als Mitkaiser ein und gibt dadurch das bisher herrschende Prinzip der genossenschaftlichen, d. h. gleichberechtigten Reichsteilung auf. Damit beginnt der Anfang vom Ende des noch wenige Jahre zuvor von Karl dem Großen einheitlich geführten Frankenreichs. Ab 830 kommt es zu Aufständen der Söhne Ludwigs gegen ihren Vater, 843 durch den Vertrag von Verdun dann zur ersten großen Reichsteilung, wodurch Ludwig II., der Deutsche, König über das Ostfrankenreich wird. Eine weitere Neuordnung des Reiches folgt 870 durch den Vertrag von Meersen; Ludwig der Deutsche ist nun auch Herrscher der Gebiete, in denen das Bistum Metz und die Grafschaften des Saar- und Bliesgaus liegen. Die Machtkämpfe im Innern des fränkischen Reiches und die zur gleichen Zeit von außen ständig stärker werdende Bedrohung durch die Wikinger hatten ihre Spuren auch in der Reichskirche hinterlassen. Dennoch gab es zu dieser Zeit klare Regelungen für den Klerus, wenngleich diesen nicht mehr in allen Teilreichen die erforderliche Beachtung geschenkt wurde. Die Bischofsernennung oblag dem König. Starb ein Bischof, so entsandte der König einen Visitator in das Bistum. Innerhalb von drei Monaten mußte ein Nachfolger gesucht, von der Geistlichkeit und dem Volk des Bistums gewählt und sodann dem König vorgestellt werden. Dieser übertrug ihm, so er mit dem Auserwählten einverstanden war, die bischöflichen Lehen (Investitur), worauf schließlich der zuständige Erzbischof mit zwei weiteren Bischöfen die Weihe vornehmen und den Eid des neuen Bischofs entgegen nehmen konnte.
Eine Ebene unter dem Bischof finden wir die Mitglieder des Kathedralklerus, der die kirchliche Verwaltung des Bistums ausführte. Für die Mitglieder eines solchen Klerus am Metzer Bischofssitz hatte Chrodegang zwischen 754 und 756 eine Kanonikerregel verfasst, die auf dem Reformkonzil von Aachen im Jahre 816 überarbeitet und auf die anderen Diözesen übertragen wurde. Der Kanoniker (canonicus) ist demnach ein Geistlicher (Kleriker), der die sein ganzes Leben regulierenden Gesetze (canones) befolgt. Er lebt in der kanonischen Gemeinschaft (vita canonica), wozu ihm im Gegensatz zu den Mönchen der Besitz von privatem Eigentum erlaubt ist.
Die Bistümer, denen die Bischöfe vorstanden und die von den Kanonikern des Kathedralklerus verwaltet wurden, hatten in der von den Karolingern aufgebauten Kirchenhierarchie eine dementsprechend klare Struktur. Sie waren in Archidiakonate, diese wiederum in Dekanate unterteilt, die mehrere Dörfer umfassten. Der Pfarrklerus in den Dekanaten war allgemein gut gestellt, denn die Kirche des 9. Jahrhunderts war nicht arm, sondern mit zahlreichen weitläufigen Gütern ausgestattet. Zudem war unter Pippin das Zehntgebot eingeführt worden, wonach ein Viertel des Zehnts an den Bischof und drei Viertel an den örtlichen Pfarrklerus gingen.
Aufbauend auf dieser Gliederung der fränkischen Kirche im 8. und 9. Jahrhundert nahm die Zahl der Gläubigen nicht nur in den Zentren des Reichs, also an den Bischofssitzen und im Umfeld der großen Reichsklöster, sondern auch im Einzugsgebiet der vici, der castra und der großen Landdomänen zu. Diese ländlichen Gebiete wurden aber in zunehmendem Maße durch Eigenkirchen der Grundherren betreut. Das führte dazu, dass auch die Seelsorger von den Grundbesitzern eigenmächtig eingestellt wurden, ohne Rücksprache mit dem eigentlich für diese Dinge zuständigen bischöflichen Klerus. Dieser Entwicklung versuchten die karolingischen Bischöfe entgegen zu wirken, indem sie, vor allem in den weit abgelegenen, ländlichen Sprengeln ihrer Diözesen neue, allein ihrer Autorität unterstellte Pfarreien gründeten. In genau dieser Lage befand sich auch unsere Gegend in der Mitte des 9. Jahrhunderts, als Bischof Adventius diesen weit vom kirchlichen Zentrum in Metz abgelegenen Teil seiner Diözese in der Bliesgrafschaft visitierte und seelsorgerische Maßnahmen einleitete, um die Menschen, die hier lebten, wieder zum rechten Glauben zurück zu führen, aber auch wieder seiner bischöflichen Autorität zu unterstellen. Aus dem Kontext der fränkischen Kirchengeschichte des 8. und 9. Jahrhunderts ergibt sich, dass solche bischöflichen Maßnahmen wie die des Adventius zwar einen seelsorgerischen Zweck erfüllten, in erster Linie aber einen den eigenen Interessen dienenden Charakter hatten.
Funde auf den alten Bannen um das heutige Ottweiler belegen, daß in Vorzeiten hier immer Menschen gelebt haben, die aber nie wirklich seßhaft wurden, Spuren gehen über die Römer bis zu den Kelten, ja bis in die frühe Eisenzeit zurück. Die Funde waren meist zufällige Entdeckungen bei größeren Bauvorhaben oder in der Landwirtschaft. So gelang ein bedeutender Siedlungshinweis beim Bau der Straße von Ottweiler nach Fürth im Jahre 1936, als eine Wasserversorgungsanlage aus der Römerzeit freigelegt wurde. Am „Bomberg“ auf Steinbacher Bann, der in früher Zeit zum Altbann Neumünster gehörte, entdeckte man, daß die Wasserleitung in ihrer westlichen Fortsetzung zum „Fronbrunnen“ führte. Bereits 1876 war man in diesem Bereich auf die Grundmauern eines Gebäudes und eines Begräbnisplatzes aus der Römerzeit gestoßen. Der Konservator Dr. Keller faßte nach der Entdeckung der Wasserleitung alle Funde aus den Jahrzehnten zuvor zu einem einheitlichen Rekonstruktionsversuch zusammen: ein römisches Landhaus in Form eines Gutshofes mit einem kleinen Friedhof. Auf dem Hof, der mit einer vom Fronbrunnen gespeisten Wasserleitung versorgt wurde, betrieben die Bewohner Viehzucht und Ackerbau. Zum Hof gehörten außer dem Gutsherrn und seiner Familie eine Anzahl Höriger und Knechte, die aus der bodenständigen keltoromanischen Bevölkerung rekrutiert waren. Weitere Aufschlüsse über eine frühere Besiedlung geben zwei Funde aus dem Jahre 1904, zum einen die Trümmer eines Gebäudes aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. auf der Flur „Spitzer Birnbaum“, zum anderen ein Begräbnisplatzes aus der jüngeren Eisenzeit südlich von Wetschhausen.
Bei Hansen ist in der Häuser- und Familienchronik von einem altrömischen Gebäude die Rede, das im Garten „wo der Hanenborn oder Spitalbrunnen entspringt“ gestanden habe. Ungewiß bleibt, ob dort auch einmal ein römischer Gutshof bestanden hatte oder ob es sich lediglich um einen jener kleinen Tempel handelte, die von den Römern gern über Quellen errichtet wurden. Es gibt viele weitere Hinweise auf frühere Siedlungstätigkeiten in unsere Gegend, aus jüngerer Zeit die römischen Funde am Fuße des Sickler, das keltische Brandgrab auf dem Friedhof in Mainzweiler oder die allerjüngsten Entdeckungen römischer Siedlungsreste bei Fürth. Sie alle aber lassen die Historiker zu dem Schluß kommen, daß eine durchgehende Siedlungskontinuität im Raum des heutigen Ottweiler bis zu der Zeit der Errichtung des Chorherrenstifts nicht bestanden habe.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß sich ab etwa 500 v. Chr. Kelten und Gallier als Träger der La-Tène-Kultur in der Gegend niederließen. Die spätere Einbeziehung in das römische Weltreich verlief ohne kulturelle Brüche, so daß sich eine gallo-römische Provinzialkultur herausbildete, die erst um 500 n. Chr. durch die Übernahme von Sprache und Kultur der Franken gebrochen wurde. In der Gegend gab es ohne Zweifel bereits kultivierte Landstriche. Als erste Rodungsinsel gilt Wiebelskirchen mit der fränkischen (karolingischen) Eigenkirche des Wibilio. Die Orte im unmittelbaren geografischen Umfeld, die bereits zur Zeit der Stiftsgründung bestanden, waren Linxweiler, Illingen und Schiffweiler, jeweils mit Kirchen oder Kapellen.
Der Platz selbst, an dem das Stift errichtet wurde, dürfte, abgesehen von der Stelle des römischen Fundes beim Hanenborn, größtenteils bewaldet und weitgehend unkultiviert gewesen sein. Das Tal der Blies war geprägt von den natürlichen Mäandern des Flüßchens, mit seinen Prall- und Gleithängen und den Sumpfgebieten, die auch durch zahlreiche kleine Zuläufe genährt wurden. Insgesamt entsprach die Gegend in der Beschaffenheit ihrer Hügel, Höhenlagen und Tälern dem Bild, das sich dem Landschaftsbetrachter noch heute bietet. Aufbauend auf das von den Römern geschaffene Straßennetz dürften in der Zeit der Franken auch in unserer Gegend weitere Verfeinerungen der Verkehrswege zu Kriegs-, aber auch zu Handelzwecken erfolgt sein.
Die Sprache der Zeit
Die Gründung des Chorherrenstifts fällt mitten in die Zeit, in der sich das Althochdeutsche als älteste, schriftlich überlieferte Sprachform der hochdeutschen Sprache entfaltet. Im Gegensatz zum Niederdeutsch nahm das Hochdeutsch an der sog. zweiten Lautverschiebung im 7. Jh. n. Chr. teil, die zu einer Auseinanderentwicklung der beiden großen Sprachräume führte, deren geografische Grenze durch die sog. Benrather Linie gebildet wurde. Südlich dieser Linie, die von Aachen über Köln/Benrath, Siegen, Kassel, den Harz bis in den Berliner Raum reicht, entfalteten sich die Dialekte der mittel- und oberdeutschen Sprache, so das Ripuarisch um Köln, das Mosel- oder Mittelfränkisch im Triererischen und das Rheinfränkisch in unserer Gegend. Weiter westlich entfaltete sich das Ostmitteldeutsch und im Süden die Dialekte Ostfränkisch, Alemannisch und Bairisch. In unserer Gegend setzte sich das Rheinfränkische fest, wenngleich die Sprachgrenze zum Moselfränkischen, die noch heute in den saarländischen Dialekten erfahrbar ist, in unmittelbarer Nachbarschaft verlief.
Die Karte zeigt die Sprachgebiete und -grenzen des frühen Mittelalters auf einer Karte des heutigen Saarlandes. Dicht an Ottweiler vorbei verlief die sogenannte »wat-dat-Linie«, eine Sprachgrenze, hinter der "wat" und "dat" gesagt wurde, wenn man "was" und "das" zum Ausdruck bringen wollte, wie das im Raum des heutigen Ottweilers üblich war. Zwischen den Sprachräumen des reinen Moselfränkischen und des reinen Rheinfränkischen gab es einen breiten Streifen, in den die beiden Dialekte in einer Mischform gesprochen wurde.
Der schriftliche Ausdruck der Sprache war ausschließlich eine Sache gebildeter Menschen. An den königlichen Höfen und insbesondere in den Klöstern wurde diese Kunst in eigenen Scriptorien (Schreibsälen) ausgeführt. Das einfache Volk konnte in der Regel nicht schreiben, ein Schulwesen existierte noch nicht. Geschrieben wurde in der fränkischen Zeit in der karolingischen Minuskel, der beherrschenden Buchschrift in den Jahrhunderten vor und nach der ersten Jahrtausenwende. In dieser Schrift dürften auch die ersten Urkunden zum Chorherrenstift und zum späteren Kloster Neumünster abgefasst worden sein.
Das folgende Bild zeigt die älteste bisher bekannte Abbildung eines Werkes in der karolingischen Minuskel.
Die weitere Abbildung zeigt eine Bibel aus dem 9. Jh, die »Vulgata Alkuin« aus dem Jahre 840, die ebenfalls in der karolingischen Minuskelschrift, kombiniert mit der auf die Römer zurückgehenden Antiquaschrift, geschrieben und zusätzlich durch Illustratoren ausgeschmückt wurde.
Während bisher ausschließlich von der Sprache und den unterschiedlichen Dialekten des Volkes die Rede war, so kommt innerhalb der gebildeten Kreise und vor allem in der kirchlichen Welt des Mittelalters das Latein als weitere Sprache hinzu. So kann es auch nicht verwundern, daß das Wort „deutsch“ seinen wahrscheinlichsten Ursprung in „theudiskaz“ hat, was so viel wie „zum Volk gehörig“ bedeutet. Der Begriff „theodisce“ taucht in diesem Sinne erstmals in einem Bericht des Nuntius Georg von Ostia im Jahre 786 an Papst Hadrian I. auf. So wie heute noch merkbar, so wird es auch zu der Zeit der Stiftsgründung innerhalb des Rheinfränkischen zahllose örtliche Dialekte gegeben haben, Spracheigenheiten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Eine ähnliche Entwicklung betraf auch das Lateinische, bei dem es regional unterschiedliche Dialekte gegeben hat. Zu keiner Zeit gab es im Frankenreich eine einheitliche und von allen angewandte lateinische Sprache. Insbesondere, wenn die allgemeine Bildung, zumindest aber das Lesen und Schreiben im Volk vernachlässigt wurden, litt darunter auch die Weitergabe des Lateinischen; zeitweise war es sogar regelrecht verkommen, und nur wenige gebildete Menschen beherrschten es in Wort und Schrift.
Die Bedeutung des Klosterwesens
Schon weiter oben wird der Heilige Martin von Tours als Vater des abendländischen Mönchtums und der Heilige Benedikt von Nursia als sein erster großer Reformator bezeichnet. Beide hatten das klösterliche Leben entscheidend geprägt, ihre Lehre und ihr beispielhaftes Leben waren durch Überlieferung und Heiligenverehrung auch nach Jahrhunderten lebendig geblieben. Gleichwohl gab es in Angleichung an die regionalen und zeitbedingten Gegebenheiten Veränderungen in der Arbeitsweise der Mönche, was auch für unsere Gegend überliefert ist. Der Hl. Chrodegang, der rund 100 Jahre vor Adventius den Metzer Bischofsstuhl innehatte, entwarf eine auf Benedikt fußende Regel für die Chorherren, die auch im Chorherrenstift am Hahnenberg zur Anwendung kam.
Benedikt von Nursia verfasste in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts eine für alle Mönche seines Klosters auf dem Monte Cassino verbindliche Lebensordnung. Diese "Regel" des Heiligen Benedikt, ein kleines Bändchen von knapp 100 Seiten, wurde zum "Grundgesetz" des abendländischen Mönchtums. Die Abbildung links zeigt einen Auszug dieser Regel als sog. Interlinearversion, d. h. mit zwischen den lateinischen Text geschriebenen wörtlichen Übersetzungen. Das Werk ist eine im Jahre 813 in Monte Cassino angefertigte Kopie der Benedikt-Regel.
Daß Adventius nach diese Regel seines Vorgängers tätig wurde, lag im Zweck der Stiftsgründung. Während der Klostereintritt zu früheren Zeiten für den Eintretenden in der Regel mit dem Abschied vom weltlichen Leben und mit der völligen Hingabe an Gott in Gebet und Arbeit verbunden war, bisweilen gab es sogar ausgesprochene Klosterfluchtbewegungen, war der Hauptgrund der Stiftsgründung die Erneuerung der Seelsorge in einer ganzen Region, die nach dem Visitationsbericht des Bischofs Adventius zu urteilen offenbar sehr im Argen lag. Deshalb war die Organisation des Stiftes von vorneherein eine andere als die gewohnte. Als Oberer stand dem Chorherrenstift ein Probst vor, der selbst nicht Priester zu sein brauchte. War er ein Laie, so stand im ein Kanoniker zur Seite, der die Pfarrechte des Stiftes entweder allein oder mit anderen Mitkonventualen ausübte. Insgesamt gewährte die Regel des Chrodegang dem einzelnen Chorherrn verhältnismäßig viele Freiheiten. Kern der Überlegungen des Adventius war es daher wohl, aus der Abgeschiedenheit des Chorherrenstiftes einen neuen Mittelpunkt für die Seelsorge des ganzen Umkreises zu organisieren. Dabei spielte, jedenfalls aus heutige Sicht betrachtet, sicher eine wichtige Rolle, daß beim einfachen Volk zu jener Zeit die Klöster als heilige Einrichtungen und die in ihnen lebende Mönche als heilige Menschen angesehen wurden, von denen eine natürliche Autorität auf die Lebensweise und eine besondere Wirkkraft auf das Seelenheil der Menschen ausging.
Eine Exkursion zu "Geschichtlicher Abriss des christlichen Mönchtums" finden Sie in einer gesonderten Datei:
Aus dem Text der ersten Urkunde entnehmen wir, daß im Jahre 874, als Adventius die Bestätigungsurkunde von König Ludwig II. erhielt, das Chorherrenstift bereits bestanden hat. Die Kanoniker hatten von dort aus ihre seelsorgerische Tätigkeit bereits aufgenommen. Wann mit den Bauarbeiten begonnen wurde und wie lange sie andauerten, darüber gibt es ebenso wenig Informationen wie über die Größe der Anlage. Einzige Anhaltspunkte sind die in der Urkunde erwähnten Angaben über die Zelle, was sich vom lateinischen cella ableitet und „kleines Kloster“ bedeutet und über die Kirche, die als „prachtvoller und stattlicher Bau“ beschrieben wird.
In welcher Grafschaft des ostfränkischen Reichs das Chorherrenstift errichtet wurde, ob es überhaupt zu dieser Zeit einer weltlichen Herrschaft unterstand, geht weder aus der ersten Urkunde, noch aus späteren Überlieferungen hervor. Erst 893 wird die Lage der Kanonie als bei „Wibilischiricka im Bliesgau in der Grafschaft des Odacker“ örtlich näher bezeichnet. Möglicherweise gehörte auch das Gebiet am Fuße des Hahnenbergs zu dieser Grafschaft, möglicherweise gehörte es aber auch zu keiner weltlichen Herrschaft, sondern war als Teil des Stephansguts einfach nur im Besitz der Metzer Kirche. Die Bischöfe und Äbte mit ihren Besitzungen innerhalb der Bistümer und Klöster hatten in jener Zeit eine vergleichbar starke Stellung wie der weltliche Adel. So sind auch die Schenkungen der Metzer Kirche an das Stift, die im Laufe der Zeit sehr umfangreich wurden, den gräflichen Lehen ähnlich und wie diese immer mit beiderseitigen Verpflichtungen verbunden. Allerdings bedurfte die Kirche bei solchen Übertragungen von Land und Besitz immer auch der Rückversicherung des weltlichen Herrschers, sonst hätte es die Bestätigungsurkunde von Königs Ludwig nicht gegeben. Diese Urkunden waren aber keine Genehmigungen, sondern rechtliche Absicherungen der in ihnen getätigten Übertragungen, vor allem der von Ländereien. Zugleich sicherten sie den Schutz der weltlichen Herrscher für die kirchlichen Einrichtungen, wie es etwa in Zeiten eines Krieges erforderlich wurde.
Bestandteile und Größe des Stifts
Die Kirche des Stifts war wohl nicht ausschließlich den Chorherren vorbehalten, sondern anfangs auch für die Gottesdienste der im Umkreis lebenden Menschen zugänglich. Sie wird daher schon ein beachtliches Ausmaß gehabt haben. Dies um so mehr, als Adventius in die Kirche den Leib seines Vorgängers Terentius übertragen ließ, der dort wohl über viele Jahre hinweg verehrt wurde. Die Größe der übrigen Klostergebäude war abhängig von der Anzahl der Kanoniker, die darin leben sollten. Legen wir zu Grunde, daß es vielleicht zehn, höchstens 15 Kleriker waren, die hier angesiedelt wurden, so dürften die unmittelbaren Klosterbauten in ihrem Gesamtvolumen etwa dem der Kirche entsprochen haben. Der Schlafsaal (Dormitorium), der Speisesaal (Refectorium) mit einer Küche, vielleicht auch ein Kapitelsaal mit einer kleinen Bibliothek und einem Schreibplatz (scriptorium), das sind die Räumlichkeiten, die auch in kleinen Klöstern zur Grundausstattung gehörten. Nach den zur damaligen Zeit vorherrschenden Bauformen waren diese ausschließlich den Chorherren zugänglichen Klosterbauten direkt an die Kirche angebaut und mit einem Kreuzgang untereinander verbunden. Diese Bauwerke und die Kirche waren immer ein geschlossener Bereich, der erforderlichenfalls durch eine Mauer von der Außenwelt abgeschlossen war. Außerhalb dieses Bereiches kamen dann noch die Wirtschaftsgebäude hinzu, die aus Stallungen und Scheunen, Obst- und Weinpressen und Getreide- und Ölmühlen bestehen konnten. Auch weitere Feuerstellen, der Backofen und die Brunnenanlage gehörten in diesen Bereich. Aus den Überlieferungen wissen wir, daß Bischof Rudbert von Metz im Jahre 893, also etwa zwanzig Jahre nach Fertigstellung des Stiftes seine Besitzungen vermehrte, nachdem er es auf Bitten der Kanoniker weiter ausbauen ließ. Möglicherweise war es zu eng geworden, so daß An- oder zusätzliche Neubauten erforderlich wurden.
Der heilige Terentius gilt als der zweite Patron der kath. Kirchengemeinde Ottweiler. Der Festplatz hinter der Kirche und dem Kindergarten trägt noch heute seinen Namen. Das Bildnis des Metzer Bischofs entstammt einem Glasbild im Südfenster des Querschiffes der Metzer Kathedrale. Seine Gebeine ließ Bischof Adventius in das von im gegründete Chroherrenstift überführen.
Der Baustil der Stiftskirche
Der Neubau einer klösterlichen Anlage war schon vor über 1100 Jahren die Angelegenheit von Baufachleuten, die das Vorhaben von der Planung bis zur Fertigstellung professionell organisierten. Regelrechte Baupläne im heutigen Sinne waren zu dieser Zeit noch nicht üblich, wohl gab es aber Skizzen und zu Papier gebrachte Vorstellungen der Auftraggeber. Diese Auftraggeber, die meist auch die Geldgeber waren, werden in den Überlieferungen oft auch als die Errichter der Klöster bezeichnet, tatsächlich hatten sie mit der eigentlichen Bauausführung praktisch nichts zu tun.
Stilistisch kann man eine verläßliche Aussage zum Chorherrenstift nur dann treffen, wenn man noch erhaltene Bauwerke aus dieser Epoche in der unmittelbaren Umgebung des heutigen Ottweiler zum Vergleich heranzieht. Generell war die Zeit des 9. Jh. in Bezug auf Sakralbauten von der romanischen und karolingischen Baukunst geprägt. Dieser Stil prägte die großen Basiliken und Klöster ebenso wie die kleinen Dorf- und Stiftskirchen. Die Aussage der ersten Urkunde, die von der Kirche als prachtvollem und stattlichem Bau spricht, bezieht sich sicherlich sowohl auf die Größe wie auch auf die Ausstattung. Es darf davon ausgegangen werden, daß es sich bei der Kirche des Chorherrenstifts um eine Hallenkirche mit einem Haupt- und zwei Seitenschiffen gehandelt hat. Ausgehend von drei hintereinander gefügten Vierungsquadraten von jeweils 5 x 5 Metern ergibt sich eine Gesamtlänge des Hautschiffes von 15 Metern. Die daran angefügten Seitenschiffe bestanden entweder aus der jeweils doppelten Anzahl von Vierungen mit Seitenlängen von 2,5 Metern oder aber aus der gleichen Anzahl von Rechtecken der Ausmaße 5 x 2,5 Meter. Das nach Osten zeigende Chor wurde mit einer Apsis in der Breite des Hauptschiffes abgeschlossen. Ob die Kirche bereits einen Turm hatte, kann bezweifelt werden, unmittelbar erforderlich war er jedenfalls noch nicht. Das Morgenlicht fiel von Osten her durch die Apsidenfenster, um die Mittagszeit durch die großen Rundbogenfenster und die Oberlichter der Südseite und in der Dämmerungszeit am Abend durch die Fenster der Westseite, an der auch das Portal für die Gottesdienstbesucher war. Ausgehend von dieser Bauwerksgliederung ergibt sich eine am äußeren Sockel gemessene Gesamtgrundfläche der Kirche von 150 m² (Breite: 10 m x Länge: 15 m). Eingedeckt wurde die Kirche über dem Hauptschiff durch ein Satteldach und über den beiden Seitenschiffen durch Pultdächer, die in den Nord- und Südwänden des Hauptbaus auflagen. Die von außen sichtbaren Mauern waren nach romanischer Art durch Lisenen, Rundbogenfenster und –friese gegliedert, jedoch sicher nicht so aufwendig, wie bei den großen Sakralbauten. An der Nordwand der Kirche war der ausschließlich den Mönchen vorbehaltene Klosterbereich direkt angebaut. In nördlicher Verlängerung der östlichen Vierung das Dormitorium, das durch einen Verbindungsbau mit dem im Westen angebauten Refektorium verbunden war. Der so entstandene Innenhof bildete den Kreuzgang des Stiftes.
Ob die Anlage des Stiftes tatsächlich so ausgesehen hat, vermag niemand zu sagen. Allerdings gibt es in unserer Gegend Anhaltspunkte aus dieser Epoche, die eine solche Beschreibung wahrscheinlich machen. So sind in Hornbach, St. Avold, Mettlach oder Tholey noch heute Spuren der romanischen Baukunst des ausgehenden Frühmittelalters deutlich sichtbar.
Erste Siedlungstätigkeiten
Es ist denkbar – und im Fall des Chorherrenstifts am Hahnenberg sogar wahrscheinlich – daß bereits während der Bauzeit der Anlage eine erste Siedlung im direkten Umfeld des Stiftes entstanden ist. Dies ist um so wahrscheinlicher, als die Chorherren vom Bischof ja mit der Seelsorge in der Umgebung beauftragt wurden, womit praktisch deren vollständige Auslastung verbunden war. Sie waren daher wohl kaum in der Lage, zusätzlich zu ihrer seelsorgerischen Tätigkeit auch noch diejenigen Arbeiten zu verrichten, die für den Unterhalt des Stiftes erforderlich waren. Überliefert ist, daß aus den zahlreichen Besitzungen des Stiftes, die von den Metzer Bischöfen auf das Kloster übertragen wurden, regelmäßige Abgaben an das Kloster zu leisten waren. Sehr ausführlich ist dies beschrieben bei den Schenkungen des Jahres 893, in deren Zuge „drei freie Höfe zu Eschringen mit allem Zubehör wie Zehnten, Feldern, Wiesen, Wäldern, Wasser und Wassergefällen, Beweglichem und Unbeweglichem, Bebautem und Unbebautem ohne jede Verminderung, voll und ganz“ in den Besitz des Chorherrenstifts übergegangen waren.